du hast natürlich ganz recht, irgendwann wird das eigen verhalten zu selbstzweck, unhiterfragt und scheinbar keiner begründung mehr bedürfend. andererseits ist es natürlich im dienst der selbstdisziplin, wenn man in dingen, die auch mal unangenehm sind, die man aber trotzdem für richtig hält, so viel routine und selbstverständlichkeit entwickelt, daß man nicht mehr darüber nachdenkt und schon deshalb nicht ins schwanken gerät. wie du es selbst sagst: es steht nicht zur diskussion.
mit dem anecken ist das so bei mir, daß ich im ausland oder überhaupt fremder umgebung eine ganz andere herangehensweise habe, mich dem anderen zu nähern (oder eben nicht). generell sehe ich mich immer als ferner beobachter, der sich im beobachten distanziert. ich habe nie das bedürfnis gehabt, einzutauchen oder eine andere lebensart auszuprobieren. ich liebe die griechische küche, aber irgendwann wurde ich wahnsinnig, als ich schon wieder für haferflocken oder butter das dreifache zahlen mußte wie zuhause ("das sind doch grundnahrungsmittel!") oder ich vermißte vollkornbrot. und ich hab auch nie verstanden, warum es in griechenland nicht üblich ist, miete, strom etc per dauerauftrag zu bezahlen und betrachtete an jedem monatsersten die schlangen vor den bankschaltern mit einer seltsamen mischung aus aufbrausendem zorn ("sind die albern!") und boshaftem amüsement ("selbst schuld!"). als abgrenzter fremdkörper distanziere ich mich von allem, was nicht so ist, wie ich es kenne -- wobei ich oft den fehler gemacht habe, das vertraute zum maß aller dinge zu nehmen, ob dieses vertraute nun an sich begründbar vorzuziehen war oder nicht. ich blieb immer, stellte ich fest, fremder, und umso mehr, je länger ich mich dort aufhielt.
damals (also in griechenland) ist mir auch klargeworden, daß ich die größten schwierigkeiten hätte, auszuwandern.
die eine tüte mehr oder weniger macht natürlich nichts aus -- aber ist das nicht immer das argument, wenn es darum geht, im kleinen was zu ändern? der eine thunfisch, den ich esse, was macht das schon? mein auto für sich genommen trägt nicht zum waldsterben bei. das bißchen papier, das ich verbrauche, mein gott!
aber ich gebe zu, daß ich auch einen gewissen genuß empfinde beim anecken, insofern würde ich nicht nur aus hehren gründen die tüten liegenlasen, oder zuhause eine thermoskanne kaffee vorbereiten. und mich dann beömmeln, wenn ich wieder vor den augen der anderen vom merkur komme ;-)
- Ich ecke überhaupt nicht gerne an. Es ist mir sogar sehr unangenehm. Vermutlich gibt es kaum etwas schlimmeres für mich, als wie vom Merkur behandelt zu werden.
- Ich weiß nicht, was eine fremde Umgebung ist. Ich hatte sie hier zu finden erwartet, finde nun aber weder sie noch mich in ihr fremd. Was heißt in diesem Zusammenhang dann: Sich etwas nähern? Wenn man es als gar nicht so weit weg empfindet.
- Ich beobachte nicht, ich lebe. Entschuldige, wenn ich das jetzt so einander ausschließend gegenüber stelle, natürlich kann man leben und beobachten. Das ist natürlich, was ich hier tue, ich blogge über meine Zeit in Amerika. Ich blogge über Amerika. Ich blogge sogar über Amerika aus meiner europäischen Perspektive. Und ich blogge über Europa aus meiner neuen amerikanischen Perspektive. Und noch was, und noch viel wichtiger, eine Menge Erfahrungen verlaufen hier völlig anational. Ich begegne Menschen, Menschen begegnen mir. Das gibt ganz neue Formen der Kommunikation. ZB habe ich einen Poeten kennen gelernt, der gar nicht mal so wenig Deutsch kann. Wir sprechen Englisch most of the time, aber wenn ich mal nicht weiter weiß, switche ich ins Deutsche und dann versteht er das und antwortet. Und das mit Gedichten. Das gibt einen Austausch, wie ich ihn in Deutschland nicht gehabt habe bis jetzt.
- Das mit der griechischen Küche ist für mich exemplarisch für das deutsche Annähern an andere Kulturen. Das kann ich sagen, weil die deutsche nicht meine erste Kultur ist. Deutsche machen am meisten Urlaub, Deutsche kochen gerne fremd. Deutsche mögen Spanien, Italien, Kroatien, Griechenland und die Türkei. Aber Deutsche sprechen in Deutschland in der Regel nicht mit Fremden. Deutsche Bahnbeamte können prinzipiell kein Englisch. Austauschstudenten in Deutschland leben in über 90% aller mir bekannten Fälle (i.e., durch kurze Treffen auf Fluren o.ä.) äußerst isoliert unter sich Austauschstudenten. Deutsche verlieren schnell die Geduld in Gesprächen mit Ausländern, wenn diese zuviele Fehler machen. Deutschen fällt jeder Fehler auf, den Ausländer machen.
- Ich kann mir gut vorstellen, auszuwandern. Das einzige, was mir Sorgen macht, ist der ganze Papierkram und dass ich natürlich sprachlich erschwerte Bedingungen hätte die erste Zeit usw. Aber dann wieder denke ich, wieviele das vor mir schon gemacht haben. Ich mag Deutschland, aber ich mag auch Island. Und jetzt mag ich Amerika - zumindest New York, was ja laut Amis nicht mit Restamerika [sic] gleichzusetzen ist. Schlimm, dass die meisten Amis mehr von Europa gesehen haben als ich. Das soll anders werden, wenn ich wieder zurück bin. Ich glaube von hier aus, dass zB Leben in einem anderen europäischen Land überhaupt kein Problem darstellt.
Ich glaube zudem, man sieht umso mehr Unterschiede, je ähnlicher man sich ist. Vgl. im anderen Text die unterschiedlichen Grüppchen in Baden-Württemberg. Ich habe hier eine Engländerin kennen gelernt, die klagt über viele Unterschiede. Ich dagegen lerne jeden Tag, kulturell, sprachlich, sozial, über mich oder Herkunft oder andere Metathemen und dann auch noch das Zeug, was ich sowieso lernen sollte, an der Uni. Ich habe vielleicht eine andere innere Haltung zu diesem Land als eine, die hier einfach Englisch sprechen kann, aber bei manchen Wörtern oder beim spelling darauf achten muss, welche Version Englisch sie jetzt zu benutzen hat. War ja bei meiner Auswanderung nach Süddeutschland beinah ähnlich, wobei ich das eher toll fand, als dass ich geklagt hab. Und eigentlich sogar wundere ich mich wirklich, wieviel Deutsch die Amis wirklich können - eigentlich lernt um mich herum fast jeder Deutsch, nun ja, viele haben sich hier ja auch auf Kontinentalphilosophie spezialisiert - , wieviel sie über deutsche Geschichte wissen, wieviel über die einzelnen Berliner Stadtteile, und wieviele Sachen hier einfach auch deutsche Namen tragen.
- Ich fühle mich nicht wohl in der Rolle des "abgegrenzten Fremdkörpers" und strebe deshalb Integration an.
Allgemein noch gesagt: Natürlich war mir beim Schreiben klar, dass es genauso klingt wie das typische: Ach, was macht das denn schon, wenn ICH jetzt aufhöre, Fleisch zu essen? Als aus ethischen Gründen entschiedene Vegetarierin mit Tierrechtsorganisationenvergangenheit kenne ich diese Argumentationsweisen, Slippery Slope reversed, gut genug. However, ich dachte, der Unterschied wäre klar geworden. Das Plastikbesteck hat seinen Weg in unser Kücheninventar gefunden. Die Pappbecher nicht.
Ich mag deine Selbstbeobachtung. Du weißt ja, warum du niemals in Griechenland leben wollen würdest / könntest (hier synonym). Wenn du Besucher bist und dich wohlfühlst als solcher, und Griechenland weiß, dass du es nur besuchst, ist das ja auch völlig in Ordnung so. Ach TTh, und verzeihe mir den groben Ton, hier wie auch in Delaware. Ich hoffe, du nimmst es nicht persönlich und dementsprechend ps.: Natürlich bist du nicht der typisch deutsche Griechenlandtourist.
du hast natürlich ganz recht, irgendwann wird das eigen verhalten zu selbstzweck, unhiterfragt und scheinbar keiner begründung mehr bedürfend. andererseits ist es natürlich im dienst der selbstdisziplin, wenn man in dingen, die auch mal unangenehm sind, die man aber trotzdem für richtig hält, so viel routine und selbstverständlichkeit entwickelt, daß man nicht mehr darüber nachdenkt und schon deshalb nicht ins schwanken gerät. wie du es selbst sagst: es steht nicht zur diskussion.
mit dem anecken ist das so bei mir, daß ich im ausland oder überhaupt fremder umgebung eine ganz andere herangehensweise habe, mich dem anderen zu nähern (oder eben nicht). generell sehe ich mich immer als ferner beobachter, der sich im beobachten distanziert. ich habe nie das bedürfnis gehabt, einzutauchen oder eine andere lebensart auszuprobieren. ich liebe die griechische küche, aber irgendwann wurde ich wahnsinnig, als ich schon wieder für haferflocken oder butter das dreifache zahlen mußte wie zuhause ("das sind doch grundnahrungsmittel!") oder ich vermißte vollkornbrot. und ich hab auch nie verstanden, warum es in griechenland nicht üblich ist, miete, strom etc per dauerauftrag zu bezahlen und betrachtete an jedem monatsersten die schlangen vor den bankschaltern mit einer seltsamen mischung aus aufbrausendem zorn ("sind die albern!") und boshaftem amüsement ("selbst schuld!"). als abgrenzter fremdkörper distanziere ich mich von allem, was nicht so ist, wie ich es kenne -- wobei ich oft den fehler gemacht habe, das vertraute zum maß aller dinge zu nehmen, ob dieses vertraute nun an sich begründbar vorzuziehen war oder nicht. ich blieb immer, stellte ich fest, fremder, und umso mehr, je länger ich mich dort aufhielt.
damals (also in griechenland) ist mir auch klargeworden, daß ich die größten schwierigkeiten hätte, auszuwandern.
die eine tüte mehr oder weniger macht natürlich nichts aus -- aber ist das nicht immer das argument, wenn es darum geht, im kleinen was zu ändern? der eine thunfisch, den ich esse, was macht das schon? mein auto für sich genommen trägt nicht zum waldsterben bei. das bißchen papier, das ich verbrauche, mein gott!
aber ich gebe zu, daß ich auch einen gewissen genuß empfinde beim anecken, insofern würde ich nicht nur aus hehren gründen die tüten liegenlasen, oder zuhause eine thermoskanne kaffee vorbereiten. und mich dann beömmeln, wenn ich wieder vor den augen der anderen vom merkur komme ;-)
Suchbild
- Ich ecke überhaupt nicht gerne an. Es ist mir sogar sehr unangenehm. Vermutlich gibt es kaum etwas schlimmeres für mich, als wie vom Merkur behandelt zu werden.
- Ich weiß nicht, was eine fremde Umgebung ist. Ich hatte sie hier zu finden erwartet, finde nun aber weder sie noch mich in ihr fremd. Was heißt in diesem Zusammenhang dann: Sich etwas nähern? Wenn man es als gar nicht so weit weg empfindet.
- Ich beobachte nicht, ich lebe. Entschuldige, wenn ich das jetzt so einander ausschließend gegenüber stelle, natürlich kann man leben und beobachten. Das ist natürlich, was ich hier tue, ich blogge über meine Zeit in Amerika. Ich blogge über Amerika. Ich blogge sogar über Amerika aus meiner europäischen Perspektive. Und ich blogge über Europa aus meiner neuen amerikanischen Perspektive. Und noch was, und noch viel wichtiger, eine Menge Erfahrungen verlaufen hier völlig anational. Ich begegne Menschen, Menschen begegnen mir. Das gibt ganz neue Formen der Kommunikation. ZB habe ich einen Poeten kennen gelernt, der gar nicht mal so wenig Deutsch kann. Wir sprechen Englisch most of the time, aber wenn ich mal nicht weiter weiß, switche ich ins Deutsche und dann versteht er das und antwortet. Und das mit Gedichten. Das gibt einen Austausch, wie ich ihn in Deutschland nicht gehabt habe bis jetzt.
- Das mit der griechischen Küche ist für mich exemplarisch für das deutsche Annähern an andere Kulturen. Das kann ich sagen, weil die deutsche nicht meine erste Kultur ist. Deutsche machen am meisten Urlaub, Deutsche kochen gerne fremd. Deutsche mögen Spanien, Italien, Kroatien, Griechenland und die Türkei. Aber Deutsche sprechen in Deutschland in der Regel nicht mit Fremden. Deutsche Bahnbeamte können prinzipiell kein Englisch. Austauschstudenten in Deutschland leben in über 90% aller mir bekannten Fälle (i.e., durch kurze Treffen auf Fluren o.ä.) äußerst isoliert unter sich Austauschstudenten. Deutsche verlieren schnell die Geduld in Gesprächen mit Ausländern, wenn diese zuviele Fehler machen. Deutschen fällt jeder Fehler auf, den Ausländer machen.
- Ich kann mir gut vorstellen, auszuwandern. Das einzige, was mir Sorgen macht, ist der ganze Papierkram und dass ich natürlich sprachlich erschwerte Bedingungen hätte die erste Zeit usw. Aber dann wieder denke ich, wieviele das vor mir schon gemacht haben. Ich mag Deutschland, aber ich mag auch Island. Und jetzt mag ich Amerika - zumindest New York, was ja laut Amis nicht mit Restamerika [sic] gleichzusetzen ist. Schlimm, dass die meisten Amis mehr von Europa gesehen haben als ich. Das soll anders werden, wenn ich wieder zurück bin. Ich glaube von hier aus, dass zB Leben in einem anderen europäischen Land überhaupt kein Problem darstellt.
Ich glaube zudem, man sieht umso mehr Unterschiede, je ähnlicher man sich ist. Vgl. im anderen Text die unterschiedlichen Grüppchen in Baden-Württemberg. Ich habe hier eine Engländerin kennen gelernt, die klagt über viele Unterschiede. Ich dagegen lerne jeden Tag, kulturell, sprachlich, sozial, über mich oder Herkunft oder andere Metathemen und dann auch noch das Zeug, was ich sowieso lernen sollte, an der Uni. Ich habe vielleicht eine andere innere Haltung zu diesem Land als eine, die hier einfach Englisch sprechen kann, aber bei manchen Wörtern oder beim spelling darauf achten muss, welche Version Englisch sie jetzt zu benutzen hat. War ja bei meiner Auswanderung nach Süddeutschland beinah ähnlich, wobei ich das eher toll fand, als dass ich geklagt hab. Und eigentlich sogar wundere ich mich wirklich, wieviel Deutsch die Amis wirklich können - eigentlich lernt um mich herum fast jeder Deutsch, nun ja, viele haben sich hier ja auch auf Kontinentalphilosophie spezialisiert - , wieviel sie über deutsche Geschichte wissen, wieviel über die einzelnen Berliner Stadtteile, und wieviele Sachen hier einfach auch deutsche Namen tragen.
- Ich fühle mich nicht wohl in der Rolle des "abgegrenzten Fremdkörpers" und strebe deshalb Integration an.
Allgemein noch gesagt: Natürlich war mir beim Schreiben klar, dass es genauso klingt wie das typische: Ach, was macht das denn schon, wenn ICH jetzt aufhöre, Fleisch zu essen? Als aus ethischen Gründen entschiedene Vegetarierin mit Tierrechtsorganisationenvergangenheit kenne ich diese Argumentationsweisen, Slippery Slope reversed, gut genug. However, ich dachte, der Unterschied wäre klar geworden. Das Plastikbesteck hat seinen Weg in unser Kücheninventar gefunden. Die Pappbecher nicht.
Ich mag deine Selbstbeobachtung. Du weißt ja, warum du niemals in Griechenland leben wollen würdest / könntest (hier synonym). Wenn du Besucher bist und dich wohlfühlst als solcher, und Griechenland weiß, dass du es nur besuchst, ist das ja auch völlig in Ordnung so. Ach TTh, und verzeihe mir den groben Ton, hier wie auch in Delaware. Ich hoffe, du nimmst es nicht persönlich und dementsprechend ps.: Natürlich bist du nicht der typisch deutsche Griechenlandtourist.